Tödliches Erbe – Chemiewaffen in Deutschland
Der Erste Weltkrieg war der schlimmste, dreckigste und zweit-tödlichste Krieg überhaupt mit ca. 17 Millionen Toten. (1) Was ihn von den bisherigen Kriegen unterschied: es wurde alles an Mitteln benutzt, was zu dieser Zeit verfügbar war. Zum ersten Mal wurden in diesem Krieg Panzer, U-Boote und Chemiewaffen eingesetzt. Zu letzteren zählten Phosgen, Sarin, konzentriertes Chlor, CLARK, Grünkreuz, Gelbkreuz, Blaukreuz. Deutschland tat als erstes Land das Undenkbare, nämlich mit Chemiewaffen nicht nur zu drohen, sondern diese wirklich zu verwenden. Und die anderen zogen nach. Nach der Haager Landkriegsordnung war dies zwar verboten, aber wen kümmert das während eines Krieges? (2) 1918, im letzten Kriegsjahr, war jede dritte Granate, die verschossen wurde, ein Gasgranate. (5)
Was hat der Erste Weltkrieg mit der Umweltverschmutzung von heute zu tun?
In Sachen Umweltverschmutzung war der Erste Weltkrieg mit seinem Ende im Jahr 1918 nicht vorbei und er ist es bis heute nicht. Wie nach einer Party gab es 1918 reichlich Überreste und Abfall, den die Deutschen nicht mehr besitzen durften (Demobilisierung, Entmilitarisierung) und die Alliierten nicht wollten. Zu den gefährlichsten Überbleibseln gehören Unmengen an Munition sowie Fässer und Bomben mit Giftgas. Als denkbar einfachste Lösung wurden ein großer Teil dieser Chemiewaffen von den Alliierten in Sümpfen, Seen, Nord- und Ostsee versenkt (oft zusammen mit den Schiffen). Nicht wenige der Beteiligten dieser Aktionen wurden später krank.
Das Umweltbundesamt stellt dazu fest: Wenn man die heute noch nachweislichen Rüstungs-Altlasten aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg alle auf einen Güterzug verlädt, dann würde dieser von Berlin bis nach Madrid reichen (2400 km). Ein konkretes Beispiel: Vor der dänischen Insel Bornholm lagern alleine ca. 50.000 Tonnen Senfgas. Es ist nur eine Frage der Zeit bis die ersten Fässer durchgerostet sind und die Katastrophe da ist. (3)(4)
Unsere dreckigsten Altlasten – Auch ein Risiko für unser Trinkwasser?
Doch im Binnenland sind nicht nur Sümpfe und Seen und damit auch das Grundwasser mit äußerst kritischen Stoffen belastet, auch einige Böden sind immens vergiftet. Es gibt extrem kontaminierte Böden dort, wo früher Munitions- bzw. Chemiefirmenareale oder Lager waren. Diese müssten komplett ausgetauscht und entgiftet werden, aber die Kapazität, dies zu tun, gibt es nicht annähernd. Geschweige jemanden, der die Kosten übernimmt. Daher stehen auf manchen dieser kontaminierten Böden heute Häuser, Schulen und Kindergärten und die Menschen wundern sich über die erhöhte Krankheitsrate. In Berlin z.B. sind einige Flächen extrem mit Arsen verseucht, was erst durch Vorarbeiten zu Baumaßnahmen offenbar wurde. Beunruhigende Konsequenz: In Deutschland rosten Chemiewaffen in unbekannter Menge unentdeckt vor sich hin. (5)
Es betrifft uns massiv. Der Erste Weltkrieg holt uns nach 100 Jahren ein
durch korrodierende Bomben und Giftgase.“
Erich Meidert
Der Zweite Weltkrieg – ein anderer Krieg, aber genauso folgenreich
Im Zweiten Weltkrieg ging es nahezu genauso weiter. Die eine Seite ist, was die Alliierten bei uns abgeladen haben: Über Deutschland wurden schätzungsweise 272 Millionen Tonnen Bomben und Granaten abgeworfen. Die andere Seite ist: Als die amerikanischen und russischen Soldaten bei uns einmarschierten, war es lebensgefährlich, in Uniform oder gar bewaffnet angetroffen zu werden. Um in keine Konflikte mit den Besatzern zu kommen, ließ man Panzer, Gewehre, Handgranaten und Munition einfach verschwinden – wieder in Flüssen und Seen. Und auch die Ost- und Nordsee mussten wieder herhalten. Die Munition und Bomben, die die Alliierten in Lagern und Fabriken vorfanden, wurde auf Züge geladen, zur Küste gefahren, auf Schiffe umgeladen und im Meer versenkt.
Von selbst löst sich das Problem jedenfalls nicht. Wir müssen etwas tun. Ein weiteres Thema für die nächste Generation.“
Johannes Preuß
Geograph und Geologe
Noch heute lagern an über 200 deutschen Standorten chemische Kampfstoffe - verscharrt oder versenkt werden sie zur korrodierenden Zeitbombe. Es ist wahrlich unangenehm, beängstigend und absurd zugleich. Doch lesen Sie selbst.
Wir geben hier in Kurzform den Inhalt einer Sendung vom 17.08.2020 in Das Erste mit dem Titel „Tödliches Erbe – Chemiewaffen in Deutschland“ wieder. Wie weit die Gefahr der Chemiewaffen heute noch reicht und ob unser Trinkwasser bedroht ist, diese spannende Geschichte folgt nun ...
Der giftigste Ort Deutschlands
Der giftigste Ort Deutschlands liegt in einem Wald bei Munster in der Lüneburger Heide. Es sieht alles nach einem gefährlichen Unterfangen aus. Die Landstraße ist gesperrt, das Gelände auch, Menschen in Schutzanzügen – alles Kampfmittelexperten, immer da: Notarzt und Rettungswagen.
Was ist der Anlass? Rostende Gasbomben und Giftgasgranaten aus zwei Weltkriegen .. Chemiewaffen! Die Reporterin packt es in ein drastisches Bild: „Der Landkreis hat die Büchse der Pandora geöffnet.“ Doch woher stammen diese?
Nach Ende des zweiten Weltkriegs hat die Britische Armee Granaten und andere Kampfmittel im Dethlinger Teich versenkt. Niedersachsen führte das einfach fort und benutzte den Teich nach Kriegsende als einfache Möglichkeit, Munition zu entsorgen. Natürlich alles undokumentiert. Im Jahr 1952 wird der Teich verfüllt, weil sich „Bomben tauchen“ als gefährlicher Wochenendsport entwickelt hatte. Experten vermuten hier bis zu 20.000 chemische Granaten und Bomben.
Solche Altlasten gibt es viele in Deutschland. Wie viel es genau sind, weiß niemand.
Jahrzehnte lang wächst Gras drüber
Ohne Zaun, ohne Warnschilder. Erst 2018 beginnt der Landkreis den Teich freizulegen. Untersuchungen ergeben, dass die Wasserqualität ist über Jahrzehnte falsch gemessen worden ist. Unbemerkt sind Arsen und andere Giftstoffe ins Grundwasser gesickert. Die gleiche Bedrohung findet man auch an anderen verseuchten Orten.
Im Frühjahr 2020 wurden die Voruntersuchungen beendet und beschlossen, die Kampfmittel komplett aus dem Teich herauszuholen. Über 50 Millionen Euro soll die Sanierung kosten.
Der Chemiewaffen Krieg
Der Erste Weltkrieg war ein Gaskrieg. Chemiewaffen wurden in gleichem Maße wie Schusswaffen gegen den Frontgegner eingesetzt. Bilanz: ca. 100.000 Gastote und ca. 1 Million Verletzte. 1918, im letzten Kriegsjahr, war jede dritte verschossene Granate eine Gasgranate. Als der Krieg endete, lagerten in Deutschland immer noch große Bestände dieser Waffen. Manches wurde vergraben, manches verbrannt. Viele Waffen aus dem Ersten Weltkrieg sind bis heute spurlos verschwunden.
Die Folge: In Deutschland rosten Chemiewaffen in unbekannter Menge unentdeckt vor sich hin.
In Munster ist der Krieg noch nicht zu Ende
Munster ist eine Hochburg für Waffen. Seit 1893 Truppenübungsplatz und bis heute größter Standort des Deutschen Heeres. Im Ersten Weltkrieg stand hier die größte Fabrik für Chemiewaffen des Kaiserreichs. Nach dem Weltkrieg spielte Munster bei der Entsorgung chemischer Waffen die zentrale Rolle. Eigentlich sollte alle Chemiewaffen dorthin zurück gebracht werden; mangels Verantwortung geschah dies allerdings nicht. Trotzdem landeten in Munster Millionen Granaten und Bomben mit chemischem Inhalt.
Hier wurden sie auf Züge geladen, zur Nord- und Ostsee gefahren und im Meer versenkt. Und dann passierte die Katastrophe: Im Oktober 1919 explodiert ein kompletter Zug in der Nähe von Munster. Nicht auf einmal, das Feuerwerk zog sich über drei Tage hin. Eine Million Granaten explodierten oder wurden bis zu 3 km weggeschleudert. Es wurde fast die gesamte Anlage vernichtet - insgesamt 42 Gebäude. Kampfstoffgranaten wurden kilometerweit durch die Gegend geschleudert, Giftwolken bedrohten umliegende Ortschaften, die zum Teil evakuiert werden mussten.
Auf dem Truppenübungsplatz Munster sucht die Bundeswehr seit Jahren nach Resten dieser Katastrophe. Ein Vertreter der Bundeswehr: „Es ist eine sehr, sehr große Fläche. Wir werden hier definitiv die nächsten 20 Jahre noch arbeiten. Es ist sehr gefährlich.“
Mülldeponie Ostsee
Auch im Zweiten Weltkrieg wurden Chemiewaffen eingesetzt. Als der Krieg endete, fanden die Alliierten hunderttausende mit chemischen Kampfstoffen gefüllte Bomben und Granaten. Und wieder die „Generallösung“: die meisten davon brachten sie zur Küste und versenkten sie in der Ostsee. Teilweise zusammen mit den Schiffen. Allein vor der dänischen Insel Bornholm lagern bis heute ca. 50.000 Tonnen hochgefährliches Senfgas.
Eine Betroffene aus Kiel, wo die Chemiewaffen von Zügen auf Schiffe umgeladen wurden, berichtet: „Man konnte es riechen und sehen. Manchmal lag ein gelb-grüner Nebel über der Umgebung. Und dann mussten wir die Gasmasken aufsetzen.“ Danach begannen die Lähmungen bei ihr. Ihre gesamte Familie ist an Krebs gestorben. Sie gibt den Chemiewaffen die Schuld und der Politik, die das Gift des Krieges seit 75 Jahren verdrängt.
An mehreren Stellen im Film erklärt ein Toxikologe die Wirkung der verschiedenen Kampfstoffe wie Sarin, CLARK und Senfgas. Diese Details ersparen wir Ihnen, um Ihre Nerven zu schonen.
Frankreich – keine Spur besser
Die Schlachtfelder Frankreichs sind mit Gasgranaten beider Gegner übersäht. Nach dem Ersten Weltkrieg werden sie millionenfach in französischen Wäldern verbrannt.
Daniel Hubé, franz. Geologe, erzählt: „Im Jahr 2015 haben wir offiziell den Auftrag vom Umweltministerium bekommen, die Orte wieder sichtbar zu machen, an denen Chemiewaffen industriell vernichtet wurden. Wir haben an 50 Orten eine Bestandsaufnahme begonnen.“
Es gibt jedes Jahr Unfälle, weil die Flächen unscheinbare, frei zugängliche Waldflächen sind. Und auch hier gibt es Streitigkeiten, wer die Kosten für die Sanierungen und Beseitigungen der Munition übernehmen soll.
Alte Chemiewaffen: Vergessen, Aufschieben, Verantwortungslosigkeit
Station Berlin-Haselhorst
In Berlin-Haselhorst wurde vor Beginn eines Neubauprojektes der Boden auf Blindgänger untersucht. Gefunden wurden Behälter mit Kampfmitteln (CLARK 1 und CLARK 2) und jede Menge mit Arsen verseuchte Erde. Auch hier ist jahrzehntelang nichts passiert, obwohl die Behörden um die Existenz der ehemaligen Kampfmittelfabrik wussten und sogar noch alte Gebäude davon stehen. Der Kommunale Wohnungsbau Berlin war lange Eigentümer des Grundstücks und gibt die Verantwortung nun an den neuen privaten Eigentümer ab. Im Grundwasser ist Arsen nachweisbar.
200 Standorte in Deutschland
Karsten Helms, Ingenieur und Spezialist für die Sanierung von Kampfstoffflächen: „Anfang der neunziger Jahre wurde vom Umweltbundesamt eine Recherche angeschoben, um einen Überblick zu bekommen, was tut sich in Deutschland mit diesen Standorten. Es gibt vereinzelt Bundesländer, die im Anschluss daran sogenannte Rüstungsaltlastenprogramme aufgelegt haben, wo dann auf einigen Standorten orientierende Untersuchungen durchgeführt worden sind. Aber es ist nie in irgendeiner Art und Weise zu Ende gebracht worden.“ Und er fügt hinzu: „Wir sind bei unseren Recherchen darauf gekommen, dass wir von ca. 200 Standorten in Deutschland reden.“ Erschwerend kommt hinzu, dass es von vielen Produktionsanlagen keine Pläne oder andere Unterlagen mehr gibt. Zumindest lässt sich noch nachvollziehen, welche Mittel wo produziert wurden.
Niemand fühlt sich zuständig
Deutsche Fachleute wünschen sich, dass der Bund mehr Verantwortung übernimmt. Andreas Krüger von der Entsorgungsfirma GEKA in Munster: „Es gibt immer wieder Initiativen der Länder, gerade über den Bundesrat, der Bund möge doch die Kosten für die gesamte Kampfmittelbeseitigung übernehmen. Das wird bisher ebenso regelmäßig vom Bund abgelehnt.“
Ein überraschendes Detail: Die bundeseigene GEKA ist die einzige Einrichtung, die in Deutschland Chemiewaffen entschärfen darf.
Die Bundesregierung schiebt den schwarzen Peter zwischen Ressorts und Bundesländern hin und her. Das Finanzministerium schiebt Anfragen an das Umweltministerium ab. Das Umweltministerium stellt klar: „Der Bund beteiligt sich über das Bundesministerium der Finanzen an der Kampfmittelräumung. […] Für die Beseitigung kontaminierten Bodens gilt generell: Hier ist nicht der Bund, sondern die Länder sind zuständig […] Auf Bundesebene wird aktuell nicht an dem Thema gearbeitet.“
Im Grunde kann es uns egal sein, wer die Sache anpackt, Bund oder Länder. Einer von beiden ist auf jeden Fall zuständig.
Und das aus mehreren Gründen:
- das Vorsorgeprinzip für die Bevölkerung
- die Verantwortung für die Aktivitäten vergangener Regierungen
- viele verseuchte Standorte gehören dem Bund
Aber jeder der Verantwortlichen versucht, Zeit zu gewinnen und Geld zu sparen.
Fazit
Die Standorte mit den Altlasten der Chemiewaffen sind über ganz Deutschland verteilt. Daher kann sich nahezu niemand sicher fühlen, ob nicht doch irgendwann etwas Gift unerkannt in seinem Trinkwasser landet. Definitiv haben wir hier einen – fast vergessenen – Grund mehr, warum sich eine gründliche Reinigung des Trinkwassers lohnt.
Wir beraten Sie gerne zu einer passenden Lösung für Sie!
Quellen:
1) Erster Weltkrieg - https://de.wikipedia.org/wiki/Erster_Weltkrieg
2) Waffen des Ersten Weltkriegs - https://www.festungen.info/content/blick-in-die-deutsche-geschichte/waffen-im-ersten-weltkrieg-1914-1918/
3) Video – „Trinkwasser Alarm: vergraben, versteckt, verdreckt“ - https://www.youtube.com/watch?v=oqFwkqtGnzo
4) Vermutlich das giftigste Loch der Welt
- https://www.prisma.de/tv-programm/Toedliches-Erbe,26704060
5) Die Story im Ersten: Tödliches Erbe – Chemiewaffen in Deutschland
Zum Weiterlesen:
https://www.geschichtsspuren.de/artikel/trainings-und-versuchsanlagen/108-munster-kampftstoffe.html
https://www.bundeswehr-journal.de/2020/rund-21-milliarden-euro-fuer-die-kampfmittelbeseitigung/
https://www.welt.de/geschichte/article139907168/Ihre-Lungen-sind-weg-buchstaeblich-ausgebrannt.html
Beitragsbilder:
Screenshot über Versenkungsgebiete der Chemiewaffen in der Ostsee: https://legacy.amucad.org/map
© Canva – Chemical weapon – Gwengoat Getty Images
© Canva – Kriegshelm – 1195798 pixabay
© Canva – Weltkrieg – Havana1234 Getty Images